Wie schwer ein Haus zu sanieren ist

Tagebuch eines japanischen Journalisten von fukumoto masao (2017)

Am Sonntagmorgen meines Aufenthalts in der Stadt Mina­misoma in der japanischen Präfektur Fukushima traf ich mich im Vorraum meines Quartiers „Futabaya Ryokan“ [1] mit SHIRAHIGE Yukio [2] von der dortigen Bürger-Messstelle und dem ebenfalls dort lebenden Journalisten SUGITA Kazuto. [3] Sugita wollte zuerst für sein Magazin „J-one“ das Gespräch zwi­schen Shirahige und mir auf­zeichnen. Aber das funktio­nierte nicht richtig, da Shira­hige und ich nicht genau wussten, worüber wir spre­chen sollten. Ich versuchte, die Situation in Deutschland nach dem Tschernobyl-Unfall darzulegen. Viel Zeit hatten wir leider nicht, da ich früh am Nachmittag mit dem Bus zur Stadt Fukushima fahren musste. In circa einer Stunde mussten wir zu Shirahiges Haus fahren.

Die eigene Bleibe

Wie im vorherigen Kapitel erwähnt, entschied sich Shirahige, in Minamiso­ma zu bleiben. Aber er konnte seiner Familie nicht zumuten, ihm zu folgen. Nach dem AKW-Unfall musste er mit der Familie zwangsweise eva­kuieren, da das Haus weniger als 20 Kilometer vom Unfall-AKW entfernt ist. Sie fuhren in die nordöstlich von Tokio liegenden Präfektur Chiba, aus der seine Frau stammt. Er musste gleich danach wieder zur Arbeit im Unfall-AKW zurück, und seine Familie blieb in Chiba. Früh entschied er, dass die Familie dort bleiben soll, da es seiner Frau nach der Evakuierung gesund­heitlich nicht gut geht.

Nachdem er zur Arbeit zu­rückgekommen war, musste er zuerst eine Woche lang im Büro seiner Firma wohnen. Danach musste er sein Quar­tier je nach dem Ort seiner Arbeit immer wieder im kür­zeren Zeitabstand wechseln. So konnte er auf keinen Fall mit der Familie zusammenle­ben. Er zog erst im Frühling 2012 in eine provisorische Wohneinrichtung in Minami­soma ein.

Seine Familie wurde bei Ver­wandten in Chiba unterge­bracht. Sie fühlte sich nach und nach mit dem Provisori­um nicht mehr so wohl und wünschte sich eine eigene Bleibe. Shirahige und seine Familie entschieden sich für die Zeit der Umsiedlung in Chiba für ein eigenes Haus.

Sie suchten nach einem Grund­stück und ließen dort ein neu­es Haus bauen. Insgesamt kos­tete es 40 Millionen Japani­sche Yen, umgerechnet circa 300.000 Euro. Die Kosten wurden vom Unfall-AKW-Be­treiber Tepco übernommen.

Für die Umsiedlung erhielten sie im Rahmen der Hausent­schädigung noch einige weite­re finanzielle Mittel, die seiner vierköpfigen Familie insge­samt zustehen. Damit konnte Shirahige sich leicht dafür entscheiden, auch das Haus im Sperrgebiet in Minamisoma zu sanieren. Die Sanierung des Hauses in Minamisoma kostete umgerechnet circa 60.000 Euro. Die Summe hät­te noch höher sein können, wenn er nicht in eigener Initiative sehr viel selbst von der Sanierung übernommen hätte.

SHIRAHIGE an seinem sanierten Haus

Die enormen Kosten

Wenn man sieht, wie viel al­lein die Umsiedlung von Shirahiges Familie kostete, kommt man insgesamt für alle ehemaligen Bewohner der Sperrgebiete auf extrem hohe Summen. Für Geschäfte gibt es noch mehr Entschädigung. Und die Sperrgebiete müssen auch noch dekontaminiert werden. Außerdem mussten viele provisorische Wohnein­richtungen gebaut werden. Die freiwillig Evakuierten wurden teilweise auch entschädigt.

Bis 12. Januar 2018 wandte die Betreiberfirma Tepco für die Entschädigungen insge­samt circa 7,7 Billionen Japa­nische Yen auf [4]. Das ent­spricht etwa 60 Milliarden Euro. Dazu kommen noch die Kosten für den Rückbau des Unfall-AKWs, die Zwischen­lagerung von kontaminiertem Schutt und Boden, usw. Das japanische Wirtschafts­ministerium rechnete im De­zember 2016 mit Gesamtkos­ten von 21,5 Billionen Japani­schen Yen [5], umgerechnet mehr als 160 Milliarden Euro. Die Höhe der Kosten ent­spricht ungefähr der Hälfte der Ausgaben des deutschen Bun­deshaushaltes 2017 [6]. Aber das japanische Ministerium ist der Auffassung, dass eine ge­naue Abschätzung der Unfall-Kosten noch immer nicht möglich ist, da die Kosten für den Rückbau der havarierten Anlagen noch nicht genau abzuschätzen sind.

Die japanische Regierung grün­dete im September 2011 eine staatseigene Agentur, um die Entschädigung und den Rück­bau möglichst reibungslos durchführen zu lassen. Die Agentur wird der Betreiber­firma Tepco insgesamt ein zinsloses Darlehen in Höhe von 13,5 Billionen Yen, um­gerechnet circa 100 Milliarden Euro, geben (Stand vom De­zember 2016). Dafür musste und muss der japanische Staat sehr viele Staatsanleihen auf­legen. Die japanische Re­gierung musste diese Aufgabe übernehmen, weil der Staat die Nutzung der Atomenergie als staatliche Aufgabe fördert.

Tepco ist auf diese Art prak­tisch verstaatlicht worden, obwohl die Entschädigungen an die evakuierten Bewohner von Tepco gezahlt wurden und noch werden. Das heißt, die enormen Kosten müssen höchstwahrscheinlich später von den Steuerzahlern getragen wer­den, da Tepco auch in Zukunft überhaupt nicht in der Lage sein wird, die Schulden zurück­zuzahlen. Die Last von Tepco wird auch nicht nur von den anderen großen Stromversor­gungsunternehmen, die AKWs besitzen, sondern teilweise auch von den nach der Libe­ralisierung des Strommarktes seit dem 1. April 2016 in den Markt eingestiegenen neuen Versorgungsunternehmen ge­tragen, die keine AKW be­treiben. Ihre Kosten für die Lastenverteilung werden zu­erst auf das Netznutzungsent­gelt und dann auf den Strom­preis aufgeschlagen. Auch wenn man nur den Strom aus den erneuerbaren Energien be­zieht, wird man nicht von der Last befreit.

Die extremen Kosten dieser Last sind Folge der Nutzung der Atomenergie und der nuk­learen Katastrophe.

Die Haussanierung

Das neue Haus für die Familie in Chiba wurde im Sommer 2016 gebaut. Shirahige selbst jedoch wohnte weiter alleine in einer provisorischen Wohn­einrichtung in Minamisoma, sowohl wegen seiner berufli­chen Arbeit, als auch für sei­nen Kampf gegen die Atom­energie. Aber er wohnt nicht gerne dort und fährt oft wäh­rend seines Urlaubs oder an langen Wochenenden [7] zu seiner Familie und übernach­tet auch ab und zu mit seinen Mitstreitern im „Futabaya Ryo­kan“ [8], wo auch ich wohnte. Nachdem der gesperrte Bezirk Odaka im Juli 2016 für die Rücksiedlung freigegeben worden war, begann Shirahige sofort mit der Sanierung seines Hau­ses im Sperrgebiet.

Das war aber überhaupt nicht einfach. Da in dem Haus mehr als 5 Jahre lang niemand wohnte, war das Haus von an­deren Bewohnern besetzt, nämlich von unzählig vielen Tieren und Insekten wie Mäu­sen, Kakerlaken, Spinnen, usw. Die mussten bekämpft werden. Das Haus und der Be­reich bis 20 Meter um das Haus herum wurden dekonta­miniert. Aber es musste wie­derholt und immer wieder neu dekontaminiert werden, da die Strahlendosen an einigen Stel­len noch sehr hoch waren. Die Erde im Garten wurde im Rahmen der Dekontamination erneuert.

Die im Haus befindlichen be­weglichen Gegenstände wie Möbel, Elektrogeräte, Ge­schirr, Küchengeräte wurden bis auf einige Ausnahmen, die er unbedingt behalten wollte, alle entsorgt. Auch alle Ge­genstände aus Textil wie Kleider, Gardinen, Bettzeug und -wäschen mussten ent­sorgt werden. Außerdem muss­ten die gesamten Wandver­kleidungen und Fußbodenbe­läge erneuert werden. Alle waren stark verseucht.

Die Wände neu verkleidet, die Fußböden neu belegt

Von den alten Beständen blie­ben nur noch eine Vitrine mit einigem Geschirr, der bud­dhistische Altar und einige seiner Bücher. Shirahige sagte mir, er sei buddhistischer Gläubiger, und für seine Schwiegermutter war es auch wichtig, dass der Altar noch in dem Haus bleibt.

Der buddhistische Altar in der Mitte und seine Bücher auf den beiden Seiten

Alle Oberflächen der übrig gebliebenen Holzbalken, -leis­ten und Decken mussten mit Alkohol angefeuchteter Watte oder mit Handtüchern sorg­fältig abgewischt werden. So soll man die radioaktiven Stoffe, die auf und an den Oberflächen angesammelt sind, entfernen. Es wird auch im AKW so gearbeitet, sagte Shi­rahige stolz. Nach seinen Er­fahrungen mit der Reinigung im AKW soll das die beste Methode sein. Ich sah eine Alkoholflasche und dazu noch Watte sowie Handtücher auf dem Fußboden. Die Rei­nigung muss er noch weiter teils selbst fortsetzen, teils muss er Bekannte damit beauf­tragen.

Damit wird gereinigt.

„Soll man alles mit der Hand machen?“, musste ich ihn fra­gen. Er sagte, „Natürlich! Sonst kann man die radioakti­ven Stoffe nicht gut entfer­nen.“ Was für eine mühsame Arbeit ist das! Aber wenn man im Haus möglichst wenig der Strahlung ausgesetzt werden will, muss man das wohl ma­chen.

Der Strahlenwert im Haus

Die Hauptfrage ist auf jeden Fall, ob das Haus dadurch bewohnbar wird. Um das ge­nauer zu prüfen, brachte Shirahige einige Bleiblöcke ins Haus. Er wollte damit im Haus zum Vergleich einen kleinen möglichst strahlen­freien Raum schaffen, der im Wohnzimmer auf einem klei­nen Tisch errichtet wurde.

Der mit den Bleiblöcken geschaffene Raum und das Messgerät in dem Raum

Die Anzeige des Messgerätes zeigt dort in der Bleiabschir­mung 0,07 Mikrosievert pro Stunde (μSv/h). Wenn aber der Strahlenwert neben dem mit den Bleiblöcken geschaf­fenen Raum, das heißt ohne Bleiabschirmung gemessen wird, erhöht sich der Wert auf mehr als das Doppelte auf 0,165 μSv/h. Der Wert ist mehr als eineinhalbfach höher als in Berlin, wo circa 0,1 μSv/h gemessen werden.

Wenn der Strahlenwert ohne Bleiabschirmung gemessen wird

Außerdem wird der Strahlen­wert noch höher, wenn man dem Außenfenster näher kommt. Das ist logisch, da es draußen höher verstrahlt ist. Wenn man das Messgerät hö­her über den Kopf hält, erhöht sich der Messwert auch noch. Shirahige vermutet, dass die radioaktiven Stoffe im De­ckenhohlraum angesammelt sind. Aber er weiß nicht ge­nau, wie er dieses Problem lö­sen soll.

Shirahige mit einem Meßgerät am Außenfenster

Shirahige ist mit den Strah­lenwerten nicht zufrieden. Er sagte, es müsse im Haus noch mehr gereinigt werden. Er rechnete mit dem Einzug bis Ende 2017. Unter welchen Umständen er sicherer ins Haus einziehen kann, kann er selbst beurteilen, da er als ehemaliger Strahlenschutzbe­auftragter im AKW entspre­chende Kenntnisse und Erfah­rungen hat. Ich frage mich, wie man als Bürger und Bür­gerinnen, die über den Strah­lenschutz keine Kenntnisse haben, mit der Problematik umgehen soll.

Als ich darüber nachdachte, fand ich das sehr grausam. Als Laie kann man die Situation selbst gar nicht beurteilen. Man kann nur hilflos an die Aussage glauben, wenn einem gesagt wird, dass jetzt alles so in Ordnung sei. So lief es wahrscheinlich bei den meis­ten Einwohnern, die nach der Freigabe für die Rückkehr in die Heimat zurückkamen.

Der Einzug ins Haus

Shirahige zog im August 2017 alleine ins Haus ein. Das war etwas früher, als er erwartet hatte. Das erfuhr ich erst im Dezember letzten Jahres (2017). Dann fragte ich ihn per eMail, wie hoch jetzt der Strahlen­wert ist. Er schrieb mir, er liegt jetzt bei 0,14 μSv/h. Der Wert sank um circa 15 Pro­zent, als ich im Juni 2017 in seinem Haus gewesen war. Der Messwert draußen vor seinem Haus betrug 0,2 bis 0,25 μSv/h, als er im September draußen gemessen hat. Um den Wasseraustritt des Regenwasserfallrohrs lag der Messwert noch wesentlich höher bei 1,6 μSv/h. Wenn er das Messgerät höher hält, steigt der Strahlenwert noch immer an. Er will weiter die Messungen fortführen und auf den Messwert achten.

Als ich ihm zu Neujahr eine eMail schickte, schrieb ich am Anfang der eMail die traditio­nelle japanische Begrüßungs­formel zum Neujahr „Ake­mashite omedeto gozaimasu“. Das entspricht etwa dem deut­schen „Frohes Neues Jahr!“ Dann schrieb er mir, er könne seit der Katastrophe 2011 das Wort „froh“ nie mehr benut­zen, weil es seitdem gar nichts Frohes mehr gibt. Er berichte­te mir ferner, dass er in seiner Grußkarte zum Neujahr 2018 den folgenden Schlusssatz schrieb: „Seit 7 Jahren wohne ich hier alleine und engagiere mich gegen die nukleare Ver­schmutzung. Der Kampf geht noch in diesem Jahr weiter auch unter bitteren Umstän­den.“

Anmerkungen:

[1] Siehe den Absatz „Der Bizirk Odaka“ im Kapitel „Das Viertel der Alten“.

[2] Siege das vorherige Kapitel „Vom AKW-Arbeiter zum Atomgegner“.

[3] Siehe den Absatz „Ein Wanderjournalist“ im Kapitel „Das Viertel der Alten“.

[4] Nach den Daten Tepcos

(www.tepco.co.jp/fukushima_hq/compensation/results/index-j.html )

[5]  https://www.nikkei.com/article/DGXLASFS09H0H_Z01C16A2000000/

[6] Nach den Daten des Bundes­ministeriums der Finanzen

(www.bundesfinanzministerium.de/Web/DE/Themen/Oeffentliche_Finanzen/Bundeshaushalt/Bundeshaushalt_2017/bundeshaushalt_2017.html )

[7] In Japan wird der nächste Montag automatisch frei, wenn ein Feiertag ein Sonntag ist.

[8] Siehe den Absatz „Der Bizirk Odaka“ im Kapitel „Das Viertel der Alten“.

(Die 1. Veröffentlichung: Strahlentelex Nr. 746-747 / 32. Jahrgang, 1. Feburar 2018, S. 05-07.)

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