Will man den Grenzwert auf 20 Milisiert pro Jahr (mSv/a) erhöhen?

(Folgen von Fukushima)

Die internationale Strahlenschutzkommission (ICRP) will jetzt ihre Empfehlungen ändern, nämlich die ICRP-Veröffentlichungen 109 und 111. Dafür wurde ein Bericht zur Änderung veröffentlicht1, und dazu eine öffentliche Anhörung angesetzt, die mit einer Verlängerung bis zum 25.10.2019 dauerte. Man konnte zur geplanten Änderung schriftlich Stellung nehmen.

Das löste in Japan große Aufregung und Besorgnis aus, während man in Deutschland wenig daran interessiert war.

Die ICRP-Veröffentlichung 109 empfehlt für nukleare Notfälle wie AKW-Unfälle einen Grenzwert zwischen 20 und 100 Millisievert pro Jahr (mSv/a). Die ICRP-Veröffentlichung 111 empfehlt für die langfristige Verstrahlung nach nuklearen Notfällen einen Grenzwert zwischen 1 und 20 mSv/a.

Nach der nuklearen Katastrophe im März 2011 in Fukushima spielte die Jahresstrahlendosis von 20 mSv/a eine wichtige Rolle. Die japanische Regierung führte entsprechend dieser Jahresstrahlendosis und einer 20-Kilometer Entfernung vom Unfall-AKW Sperrgebiete ein2. Die Sperrgebiete wurden ab April 2014 nach und nach für die Rücksiedlung freigegeben, und jetzt sind nur noch wenige Gebiete gesperrt, in denen die Rückkehr weiterhin für unmöglich gehalten wird3.

Für die Freigabe setzte die japanische Regierung wieder einen Grenzwert von 20 mSv/a ein und setzte voraus, dass der Grenzwert unterschritten wurde. Die Entscheidung führte in Fukushima zu dem Experiment, ob man unter dem Grenzwert von 20 mSv/a ohne weiteres gesund bleiben könne.

Das bedeutet, dass für die japanische Regierung der Grenzwert von 20 mSv/a, der für den Notfall eingesetzt wurde, weiter für die langjährige radioaktive Belastung gilt.

Schon einige Jahre nach der Katastrophe kursierte in Japan die Vermutung, dass die ICRP für den AKW-Normalbetrieb den jetzt geltenden Grenzwert von 1 mSv/a auf 20 mSv/a erhöhen will. Das sollte man dann in Fukushima experimentell überprüfen.

Auch wenn die Zahl der an Schilddrüsenkrebs erkrankten Kinder, die bei der nuklearen Katastrophe unter 18 Jahre alt waren, sich jetzt schon auf mehr als 200 beläuft, behauptet die japanische Regierung immer wieder, dass das nicht auf die Strahlenbelastung zurückzuführen sei.

Nun har man die Voraussetzung für eine Erhöhung des Grenzwertes geschafft.

Die ICRP will die Grenzwerte jedoch nicht ändern. Für Notfälle soll der Grenzwert unter 100 mSv/a bleiben. Für die langfristige Verstrahlung soll der Grenzwert auch nicht geändert werden, aber ein neuer Begriff „Bezugswert“ soll eingeführt werden. Der soll zur Orientierung 10 mSv/a betragen, da man langfristig selten einer Strahlenbelastung von mehr als 10 mSv/a ausgesetzt sein wird.

Was der Bezugswert bedeuten soll, ist es im ICRP-Bericht definiert, aber sehr schwer zu verstehen.

Die derzeit gültige Veröffentlichung 111 besagt, dass man als Grenzwert zum Ergreifen von Strahlenschutzmaßnahmen von 1 mSv/a beginnend einen möglichst niedrigen Wert auswählen soll. Dann frage ich mich, wozu der Bezugswert da ist.

Ist das eine vorläufige Orientierung?

Wenn ich es richtig verstanden habe, soll man nun Strahlenschutzmaßnahmen konzentriert für die Menschen ergreifen, die einer Dosis von mehr als 10 mSv/a ausgesetzt sind, damit die Strahlenbelastung den Bezugswert von 10 mSv/a unterschreiten kann. Wenn diejenigen, deren Strahlenbelastung den Bezugswert unterschreitet, wesentlich zunehmen, dann soll man den Bezugswert heruntersetzen. Dementsprechend soll man dann Strahlenmaßnahmen verstärken.

Ich finde es gefährlich, dass man sich an einem Bezugswert orientiert. Das könnte eine heimliche Erhöhung des Grenzwertes sein. Irgendwann würde man sagen, dass es unter dem Bezugswert kein Problem mehr wäre. Das könnte dazu führen, dass der Bezugswert als Grenzwert betrachtet wird.

Außerdem soll die Notfallphase in Anfangsphase und Zwischenphase unterteilt werden. Das könnte bedeuten, dass die Notfallphase immer verlängert werden kann, in der der erhöhte Grenzwert gültig ist.

Ich befürchte, dass so der Grenzwert für den AKW-Normalbetrieb erhöht wird. Der Änderungsverschlag der ICRP könnte ein erster Schritt sein, auf dem Weg zum Grenzwert von 20 mSv/a für den AKW-Normalbetrieb.

Ich hoffe, dass meine Befürchtung nicht wahr wird.

(FUKUMOTO Masao)

Anmerkungen:

1 Radiological Protection of People and the Environment in the Event of a Large Nuclear Accident, Update of ICRP Publications 109 and 111 http://www.icrp.org/docs/TG93%20Draft%20Report%20for%20Public%20Consultation%202019-06-17.pdf

2 siehe meinen Artikel „Zurückkehren oder nicht“ im Strahlentelex Nr. 692-693 / 29. Jahrgang, 5. November 2017, http://www.strahlentelex.de/Stx_15_692-693_S01-07.pdf

3 siehe meinen Artikel „Vorsicht mit der Heimat!“ im Strahlentelex Nr. 748-749 / 32. Jahrgang, 1. März 2018, http://www.strahlentelex.de/Stx_18_748-749_S13-15.pdf

FUKUSHIMA